Eine akustische Spurensuche im Clara Zetkin Park, Leipzig 2015
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Der Clara-Zetkin-Park in Leipzig hat eine Vergangenheit, die man ihm heute nicht mehr auf den ersten Blick ansehen kann. 1897 fand auf dessen Gelände die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung statt, eine Ausstellung nach dem Vorbild der Weltausstellungen in kleinerem Maßstab. Neben Industriegütern, die in einer riesigen Halle gezeigt wurden, präsentierte die Ausstellung einen Nachbau des mittelalterlichen Leipzig, Panoramen und Dioramen, eine Kunstausstellung mit Gemälden und Skulpturen, ein Theater, ein Film- sowie ein Hörtheater und eine Kolonialausstellung mitsamt Völkerschau, in der Menschen aus Deutsch-Südost (dem heutigen Tansania, Ruanda und Burundi) inszeniert nach den populären Vorstellungen weißer deutscher Maler und Romanciers vorgeführt wurden. Die historische Ausstellung bediente sich somit aller wesentlichen (technischen) Medien des 19. Jahrhunderts, die Grundlage für unsere heutigen Medientechnologien und medialisierten Wahrnehmungsweisen sind.
Zu diesem Ort entwickelte ich 2010 für das Schauspiel Leipzig den Lecture-Performance-Walk SehSucht, der im Rahmen des Festivals Invisible Empire zur Uraufführung kam. Ausgehend von dieser Beschäftigung verfolgte ich diesen Themenkomplex weiter und suchte nach einem künstlerischen Format zu dessen (dauerhafter) Erschließung an diesem Ort. Das Projekt Phonorama ist das Ergebnis dieser Suche.
Mein künstlerisches Anliegen in Phonorama war eine Auseinandersetzung mit der historischen Ausstellung und dem Verschwinden deren Spuren im Park ebenso wie im Gedächtnis der Stadt und ihrer Öffentlichkeit. Ich verstehe diese Auseinandersetzung als eine Archäologie heutiger medialer und wahrnehmungsästhetischer Konstellationen und ebenso als eine Archäologie der hiermit verknüpften Beziehungen zu anderen Weltgegenden und deren Bewohner*innen im Spannungsfeld wirtschaftlichen Fortschrittsdenkens – zumal im Kontext dessen, was wir heute Globalisierung nennen und das in dieser historischen Phase der Wirtschaftsentwicklung einen ersten Höhepunkt erreichte. Welche Verbindungslinien verlaufen aus der historischen Situation ins Heute?
Das Projekt wurde umgesetzt mittels einer GPS-gestützten iOS-App, die ein immersives Klangfeld erzeugte, in dem sich die Besucher*innen frei bewegen konnten. Sie bediente dabei zwei Erkundungs- und Reflexionsebenen. Auf der ersten Ebene konnten die Besucher*innen die historische Ausstellung in ihrer topographischen Anlage erkunden, indem sie sich durch das virtuell über den Park gelegte Klangfeld bewegten. Die einzelnen Orte der historischen Ausstellung wurden durch Beschreibungen, kleine szenische Situationen oder die Präsentation von Archivmaterial präsentiert. Auf der zweiten Ebene begegneten den Besucher*innen virtuell durch das Klangfeld streifende Agent*innen, denen sie folgen konnten oder sie an sich vorbeiziehen lassen. Diese zweite Ebene diente der essayistischen Reflexion des historischen Ortes.
Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Medienkünstler und Software-Entwickler Michael Markert, der die iOS-App zur Umsetzung des Beschriebenen programmierte.